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Architektonik

  |  Architektonik

Reflexionen über das Prinzip der Machbarkeit
Bernhard Mitterauer (Salzburg)

Die Gedanken, die ich nun entwickeln werde, sind das Ergebnis interdisziplinärer Forschung: auf der Grundlage von Philosophie, mathematischer Logik und Kybernetik werden die Erkenntnisse der Neuro- und Komputerwissenschaften reflektiert und in Zusammenhang gebracht.
Unter Verzicht auf formale Einzelheiten möchte ich nun versuchen, eine neue Philosophie der Technik, so wie ich sie in meinem Buch „Architektonik. Entwurf einer Metaphysik der Machbarkeit“ dargelegt habe, in den wesentlichen Zügen abzuhandeln.


Prinzipien und Grenzen der Machbarkeit
Mit dem Begriff „Architektonik“ soll das Wesen technischen Handelns getroffen sein. „Architektonein“ bedeutet im Griechischen Baumeister sein, ins Werk setzen. Hier stehen wir in der Tradition von Warren St. McCulloch, einem der Begründer der Kybernetik. Für ihn ist Kybernetik nicht in erster Linie eine Wissenschaft von Steuerungs- und Kontrollsystemen, sondern eine Wissenschaft der technischen Machbarkeit, es geht ihm um „embodiments of mind“ (Verkörperungen des Geistes).
Nach welchen Gesetzen wird Machbarkeit realisiert? Wir gehen – gleich Pythagoras – davon aus, daß im Hintergrund eines jeden Universums die unauslotbaren Gesetze der Zahlen gelten. Nach ihnen hat sich jedwedes technische Handeln im Sinne der Machbarkeit zu richten. Versteht man unter Metaphysik die Lehre vom unauslotbaren Hintergrund, so ist Architektonik eigentlich eine Metaphysik der Machbarkeit.
Wer also dem unauslotbaren metaphysischen Hintergrund im Reich der Zahlen eine bestimmte, formal eindeutige Struktur abgerungen hat, kann – mit starkem Willen – genau danach ein technisches Produkt erbauen.
Denn jedes technische Produkt ist gleichzeitig Entdeckung und Erfindung. Entdeckt wird die formale Struktur, erfunden die Komposition der technischen Teile.
Da der Hintergrund der Metaphysik unauslotbar ist, ist unsere Arbeit mit den Zahlen beschränkt und damit auch unser technisches Handeln. Jedes Mal aber, wenn wir sterben, sehen wir weiter hinein in die formale Struktur der objektiven Welt. Nach jedem Tod hat ein Subjekt einen besseren Anfang mit einer tieferen Metaphysik. Nach jedem Tod verfiigt ein Lebewesen am Beginn einer neuen Handlungsepoche über eine komplexere Zahlenstruktur. Arithmetik und Metaphysik gehen Hand in Hand.
Bauen nimmt niemals ein Ende, das Bauwerk bringt jedoch eine Wende, da es mit sei­ner Vollendung ein Stück der Natur verändert hat. Die objektive Welt der Natur wird durch unsere technischen Werke verwandelt. Jede kulturelle Schaffensepoche des Menschen endet daher mit einer Katastrophe. Ob eine Katastrophe einen konstruktiven Wendepunkt bedeutet, der zur Umkehr führt, oder Tod und Zerstörung mit sich bringt, hängt wesentlich davon ab, wie sehr wir uns der Natur und den Lebewesen gegenüber verantwortlich fühlen.
Architektonik verwendet die Dinge der Natur nur dann technisch, wenn ihnen ein Be­reich ihres natürlichen Geheimnisses formal abgerungen wurde. Damit geht auch eine tiefere Einsicht in das Reich der Zahlengesetze einher. Daher ist die Physik die eigentliche Wissenschaft der Technik.
Architektonik ist permanente Verwandlung der Natur durch die technische Intention nach neuen Konstruktionen. Wenn unsere natürliche Erde verbaut ist, sucht der Mensch ein neues technisches Betätigungsfeld in der kosmischen Natur der Sterne. Oswald Spengler’s „Der Untergang des Abendlandes“ ist nach den Gesetzen der Architektonik ein unvollendbares Werk.
Subjektive Systeme – wie der Mensch – sind intentional, indem sie danach streben, sich technisch durch neue Konstruktionen weiterzuentwickeln. Trieb, Wille und Sehnsucht bedeuten, daß es uns körperlich zum technischen Handeln treibt, daß wir nach geistiger Erkenntnis streben und in unserem Herzen die Unruhe des Schaffens pocht.
Wie sehr Intentionalität architektonisch ist, zeigt die Entwicklung des Gehirns. Die lebensnotwendigen Handlungs- und Erkenntnissysteme des Hirnstammes statten sich im Laufe der Evolution mit einer zunehmenden Anzahl spezieller „Rechnersysteme“ aus. Daher bauen sich subjektive Systeme, insbesondere der Mensch, selbst immer mehr an „Großhirn“ auf.
Die scheinbar primitiven Handlungssysteme des Gehirns haben durch Selbstverkörperung eine „maschinelle“ Spezialisierung erreicht. Die Handlungssysteme des Gehirns verstehen erst durch ihre selbstgemachten Spezialrechnersysteme, was sie machen wollen. Die Hirnforschung muß daher diese Entwicklung des Gehirns im Sinne der Selbst­verkörperung nachvollziehen, will sie die elementaren Zusammenhänge der Arbeitsweise des Gehirns verstehen. Wir sollten zuerst die „primitive“ Handlungslogik des Gehirns entdecken und dann diese Selbstverkörperung nachvollziehen und nicht umgekehrt. Die zeitgenössische Hirnforschung geht aber meistens den falschen Weg, indem sie sich mit der Erforschung der Spezialrechnersysteme beschäftigt, ohne die dahinter stehende Handlungslogik zu kennen.
In Gestalt der Elektronengehirne (Komputer, Robotergehirne) verläßt die technische Selbstausstattung des Menschen zum ersten mal die Räume des natürlichen Gehirns. Damit hat das Gehirn des Schöpfers rechnender Maschinen ein für allemal die subjektive Grenze seines natürlichen Körpers überschritten. Dieser Prozeß wird durch den Tod des Schöpfers technischer Produkte unterbrochen.
Die Selbstverwirklichung nach den Gesetzen der Architektonik entwickelt sich aus der Dialektik von drei subjektiven Zeitkonzeptionen, nämlich aus Permanenz, Evolution und Emanation. Denn ewig ist der Kreis des subjektiven Selbstbezuges (Permanenz); jede technische Handlung hat einen Anfang, die künftige Entwicklung ist jedoch nicht vorhersehbar (Evolution); gleichzeitig aber ist mit dem Baubeginn das epochale Ende der Fertigstellung festgelegt (Emanation). Unter dem Wissenschaftskriterium der Machbarkeit ist Emanation die Selbstverkörperung formaler Funktionen eines Systems.
Wie der deutsch-amerikanische Logiker Gotthard Günther erkannte, ist jedes subjektive System in sich über Ich und Du distribuiert. Dieses elementare Gesetz der Distribution
gilt auch für Gott. Das Gesetz der Distribution muß in der Arithmetik der Zahlen begründet sein.
Bringt man die universale Gültigkeit des Gesetzes der Selbstverkörperung eines formalen Systems in Zusammenhang mit dem elementaren Gesetz der Ich-Du-Distribution der Subjektivität, so ergründet sich eine neue Dimension in den Tiefen unauslotbarer Metaphysik. Formal gehorcht jedes subjektive Ich-Du-System der Logik der Zahlen, existentiell der Architektonik der Machbarkeit im Sinne der permanenten Selbstverkörperung (embodiment).
Spätestens an dieser Stelle fiihrt Architektonik unweigerlich zu einem universalen Schöpfer – wir stehen vor dem Gottesbegriff.

 

Gott als Architekt aller Architekten
Gott mußte die Welt und die Lebewesen erschaffen. Wie er es machte, unterlag seinem freien Willen der Gestaltungsmöglichkeiten. Dieser technische Schaffensprozeß Gottes setzt sich permanent fort. Gott ist der sich im Diesseits immer Vergrößernde. So hat schon Dionysius Areopagita und mancher Gnostiker Gott gesehen.
Für Gott sind alle Lebewesen, nicht nur der Mensch, technische Produkte, durch welche er sich Selbsterkenntnis erzeugt. Daher handelt auch Gott nach der Logik der Architektonik.
Es gibt niemals einen göttlichen Leichnam, denn Gott braucht seinen Leichnam nicht. Er selbst ist der objektive Spiegel eines jeden Universums. Da Gott alle Gesetze im Reich der Zahlen kennt, kann er permanent auf neue Weise zählen. Diese Fähigkeit zur unbeendbaren Kombinatorik ermöglicht Gott, stets neue technische Produkte zu schaffen. „Cum Deus calculat, fit mundus“ (Wenn Gott rechnet, entsteht die Welt). So hat Couturat das architektonische Prinzip Gottes wunderschön in Worte gefaßt.
Technische Intentionen, die exakt den Gesetzen der Zahlen entsprechen, sind prinzipiell machbar. Ihre Vollendung hingegen entscheidet das passende Material.
Oft bleibt eine Entdeckung Entdeckung, weil Gott für die funktionstüchtige Erfindung keine passende Materie gewährt. Was die Hardware betrifft, sind wir Ingenieure von Gottes Gnaden.
Auf der Suche nach dem passenden Material kann die Forderung von Roger Penrose, Komputer nach quantenmechanischen Prinzipien zu bauen, gar nicht ernst genug genommen werden.
Da Gott nicht nur die Zahlen, sondern auch alle Dinge der Natur kennt, hat er für seine Technik stets die passende Materie für die Machbarkeit zur Verfiigung.
Die Erschaffung der Natur und der Lebewesen ist eigentlich die erste technische Konstruktion Gottes.
Gott mußte die Welt erschaffen, weil auch seine Subjektivität über Ich und Du verteilt ist und auch er danach strebt, seine innere Ich-Du-Struktur durch Materialisierung zu erfassen. So erschuf er eine natürliche Welt. Durch diesen technischen Akt nimmt die unaufhörliche Selbsterkenntnis Gottes ihren Anfang.
Diese göttliche Fähigkeit, durch technisches Handeln Selbsterkenntnis zu erzeugen, wollte Gott ursprünglich für sich behalten. Es war Adam und Eva daher verboten, sich von jenem Baum mitten im Paradiese die Erkenntnis zu holen, daß sie beide nackt sind und mit ihren Organen technisch handeln können. Durch den sexuellen Akt erzeugen sich Ich und Du im Kind eine gemeinsame neue Welt. In der Sexualität gelten daher die Gesetze der Architektonik.
Die Technik der Sexualität ist unter dem Schutze der Sittlichkeit ein paradiesischer Handlungsvollzug. Es ist ein gemeinsamer Weg (Co-itus) in der vierfachen Ent-Scheidung zwischen göttlicher Zeugungstechnik und teuflischer Verführung, zwischen funktionstüchtiger Selbsterkenntnis und tödlicher Zerstörung.
Gottes Technik ist natürlich, die des Menschen künstlich (artifiziell).
Gentechnologie ist keine wirkliche Technik (im Sinne der Architektonik), sondern ein Experimentieren mit gottgeschaffener Maschinerie durch Änderung der Zusammensetzung bereits funktionierender (fertiger) biologischer Teilsysteme.
Da nicht nur die Menschen, sondern auch die Tiere technische Produkte Gottes sind, sind Tierversuche Manipulationen des Menschen an anderen Geschöpfen Gottes. Im Tierversuch zerstört der scheinwissenschaftliche Mensch lebende Werke Gottes. Wir sind daher nicht nur Pythagoräer, was die Zahlen, sondern auch was die Tiere betrifft, und halten es mit dem Hinduismus, daß auch die Tiere ein Jenseits erwartet, weil sie – wie wir – eine Seele haben. Nach Leibniz, dessen Philosophie man „architektonisch“ bezeichnen kann, sind alle Lebewesen mit einer Seele ausgestattet, derer sie sich mehr oder weniger bewußt sind.
Das menschliche Leben kehrt im Leichnam in die Natur der Dinge zurück. Gleich dem Menschen als technisches Produkt Gottes gehen alle technischen Gebäude in der Zeit ihrer Emanation zugrunde. Paläste verwehen im Wüstensand.
Wer immer in seinen Handlungen von der Tragik des unentrinnbaren Schicksals des Todes bestimmt wird, hat Kultur. Der Mensch mit Kultur baut nicht zum Ruhme seiner Unsterblichkeit, sondern er sucht sterbend in seinen Werken nach Selbsterkenntnis – süße Melancholie.
Das Material eines zerfallenen Bauwerkes geht wirklich zugrunde. Denn die einst künstlich-technisch zusammengesetzte Materie kehrt wieder in den Grund des Univer­sums zurück und steht irgendwann neuen technischen Schöpfungen zur Verfügung (architektonischer Zyklus der Permanenz der Materie).

 

Das architektonische Prinzip der Geistes- und Gemütserkrankungen
Unter der Perspektive einer Metaphysik der Machbarkeit im Sinne der Architektonik dringt aber auch in das Dunkel der sogenannten Geistes- und Gemütserkrankungen erkennendes Licht.Machbarkeit ist ja Verwirklichung eines Programmes mit passendem Material am pas?
senden Ort in passender Zeit. Denkt man nun die möglichen Störungen und deren Kombinatorik dieser Beschreibung von Machbarkeit durch, so liegt mit einem Schlage ein tieferes Verständnis seelischen Andersseins auf der Hand.
Es kann das Programm des Machbarkeitsstrebens eines Menschen fehlerhaft sein, oder es steht kein passendes Material zur Verfiigung, oder es ist ein unpassender Ort, oder die Zeit ist unpassend. Ich kann hier nicht alle möglichen Störungen durchspielen, will jedoch einige Beispiele geben:
Es gibt Menschen, die einen weiblichen Körper anstreben, jedoch vermutlich aufgrund eines biogenetischen Programmfehlers einen männlichen Körper haben – Transsexuelle genannt. Diese Menschen leiden seelisch ganz schwer und hoffen durch Hormontherapie, Entfernung der männlichen Geschlechtsorgane und Konstruktion einer Scheide ihre weibliche Identität endlich verwirklichen zu können. Es gibt mittlerweile viele umoperierte Transsexuelle. Wer ihr weiteres Schicksal verfolgt, weiß, daß sie durch diese medizinische Behandlung kaum glücklicher geworden sind. Architektonisch gesehen liegt hier ein Programmfehler zugrunde, welcher zu korrigieren wäre. Dies ist aber vermutlich nicht möglich.
Es ist ganz typisch für die moderne Medizin, daß sie oft unreflektiert Symptome bekämpft, ohne dabei zu verstehen, warum das Gehirn diese Leidenszustände produzieren muß. Man ist heute blind oder zumindest respektlos vor den unauslotbaren Metastrukturen, welche die Funktionen des menschlichen Körpers in komplexer Weise organisieren und das Individuum am Leben halten.
Auch hat jeder Mensch seine individuelle Methode, mit deren Hilfe er (mehr oder weniger bewußt) durch Selbstdestruktion rechtzeitig sein vorbestimmtes Ende erreicht. Nicht nur Sucht, Übergewicht oder Krebs, auch das gesunde Leben führt zum Tode. Unsere Lebensuhr ist eigentlich ein Todeswecker. Er wird spätestens bei der Zeugung auf die Todesstunde eingestellt.
Ein anderes Beispiel: ein Mensch trägt ein perfektes Programm in sich, das er mit allen Mitteln zu verwirklichen sucht. Er befindet sich jedoch nicht am passenden Ort oder (und) hat keinen passenden Partner. Denn er wurde aus der geliebten Heimat vertrieben und noch dazu hat ihn seine Freundin, der einzige Mensch, den er lieben kann, verlas­sen. Dieser Mann erlebt sich total nnfahig, in einem schönen anderen Land mit einer ihn liebenden anderen Frau sein Lebensprogramm zu verwirklichen. Er muß daher einen radikalen Ortswechsel vornehmen. Durch „Selbstentleibung“ – Selbstmord – strebt seine Seele nach einer passenden Welt im Jenseits. Abschiedsbriefe dieser Verzweifelten künden davon: „Seit mein Mann gestorben ist, kann ich die Welt nicht mehr ertragen. Auf Wiedersehen im Paradies.“
Architektonik führt aber auch zu einem tieferen Verständnis der Depression. Depression ist sinnlose Impotenz. „Ich könnt’s eh, wenn ich’s könnt! Ich versteh nur nicht, warum“, klagte unlängst eine depressive Patientin. Sie fühlt selbst, daß ihr Lebensprogramm eigentlich stimmt, zur Realisierung jedoch das passende Material fehlt: „Ich kann nichts tun, mit nichts was anfangen, ich versteh das einfach nicht.“ Der Depressive ist einem Künstler vergleichbar, der genau weiß, was er schaffen will, jedoch nichts tun kann, weil ihm das zur Verfiigung stehende Gestaltungsmaterial nicht paßt. Warum das so ist, weiß er selber nicht.
Unsere Metaphysik der Machbarkeit ermöglicht fernerhin tiefere Einsichten in die leidvollen zwischenmenschlichen Beziehungen des Wahnkranken. Es lebt ein Mensch in einer Welt, für die die Selbstverwirklichungsprogramme zwar fehlerlos geschrieben, jedoch nicht passend sind. Nun löst das Gehirn das Problem aber auf andere Wiese als durch Selbstmord, indem die mit den Mitmenschen unmögliche Kommunikation gleichsam als „Welttheater“ im eigenen Hirn stattfindet.

 

Im Wahn wird der Wunsch nach zwischenmenschlicher Begegnung durch Scheinbegegnung ins Werk gesetzt.
Das Schicksal seelisch Leidender hängt – Gott sei’s gedankt – nicht nur von fehlerhaften Programmen, unpassendem Material, unpassenden Orten und Kommunikationspartner, sondern auch von einer möglichen Änderung des Lebensprogramms – neue Weltauffassung – in einer bestimmten Lebensepoche ab. Denn Identität ist nicht in einem Programmspeicher fest und unabrufbar gelagert, sondern eine sich von Zeit zu Zeit wandelnde Größe. Alles hat seine Zeit, auch das seelische Leid.
Schweren psychischen Störungen stehen wir psychotherapeutisch meist machtlos gegenüber, so daß wir froh sind, Medikamente zur Verfügung zu haben, welche den Patienten wieder lebensfähig stimmen können. Wie das geschieht, wissen wir nicht.
Medikamente und vor allem Psychotherapie sind letztlich nur wirksam, wenn sich der Arzt vor dem tragischen Schicksal des Patienten verneigt. Denn der Patient spürt, ob man ihn „architektonisch“ zu verstehen sucht, ihn im wahrsten Sinne des Wortes sympathisch findet, weil letztlich die eigene Sehnsucht nach Machbarkeit unserer Lebensprogramme in ihrer Unerfüllbarkeit genauso schmerzlich ist wie die sinnlose Ohnmacht des Depressiven.
Wir sollen aber unseren Patienten gleichzeitig mit dem Prinzip Hoffnung zur Seite stehen. Denn, wiewohl es Menschen gibt, die in dieser Welt ein Leben lang nicht zurecht kommen, kann es dennoch irgendwann aus unvordenklichen Gründen zur Umprogrammierung kommen: es gibt plötzlich wieder passendes Material an passenden Orten gemeinsam mit passenden Kommunikationspartnern. Alles hat seine Zeit, auch die Genesung.
Als erste therapeutische Konsequenz in Richtung einer architektonischen Psychiatrie haben wir, vor allem für Depressive, eine Handlungstherapie entwickelt. Handlungstherapie ist eine Dialektik zwischen Aktivierung des Handlungswillens und Erzeugung eigener Handlungsprogramme. Das passende technische Material zur Verwirklichung einer psychotherapeutischen Technik (Architektonik) ist die Suche nach (Erfindung von) passenden Kommunikationspartnern an passenden Orten in der Umwelt. So gesehen ist der Psychotherapeut Vermittler zwischen Selbst-Entdeckung und Selbst-Erfindung des Patienten.
Psychotherapie ist nie der Erfolg des Therapeuten, sondern Ausdruck technischer Vermittlungskunst. Eine Kunst, weil sich hier die Zahlen verbergen.
Aber irgendwo ist alles auch ganz normal: wo das passende Material fehlt, muß man Luftschlösser bauen. Von Zeit zu Zeit sind wir alle Phantasten.

 

Kommunikation ist ein ethisch-moralisches Geschäft
Technisches Handeln ist immer objektiv, subjektiv und wiederholend zugleich. Objektiv ist die Entdeckung einer bestimmten Wirklichkeitsstruktur. Subjektiv ist die formal-mathematische Beschreibung der Entdeckung. Wiederholt wird die entdeckte Wirklichkeitsstruktur durch ihre technische Machbarkeit. Zu diesem Zwecke muß der Ingenieur das passende technische Instrumentarium erfinden.
Selbsterkenntnis durch technisches Handeln ist eigentlich Selbst-Instrumentalisation nach den strengen Gesetzen der mathematischen Logik.
Die technische Intentionalität jedweder Ich-Du-Beziehung zeigt sich in ihrer Körperlichkeit Da jedes subjektive System in sich über Ich und Du verteilt ist, stellt der eigene Körper das vollkommene Produkt technischer Selbstrealisation (Selbstverdinglichung) dar. Diese subjektive Architektonik der Selbstmachbarkeit durch Selbstverdinglichung gilt auch in der zwischenmenschlichen Kommunikation.
Zwischenmenschliche Kommunikation strebt nach Verdinglichung bestimmter Ich-Du­Beziehungsstrukturen.
Dabei liegen die Wurzeln der Sittlichkeit in der Menge des Kommunikationsmaterials, das vom einzelnen Partner bereitgestellt wird.
Kommunikation ist ein Geschäft, eine Dialektik aus Nehmen und Geben, ein Kampf zwischen Ich und Du, in welchem jedes von beiden danach strebt, die Dinge des anderen zur Selbstverwirklichung zu gebrauchen.
Technische Kommunikation ist ein Akt der Bemächtigung des anderen, um ihn für die eigene technische Verwirklichung zu gebrauchen.
Technische Selbstverwirklichung ist Selbstrealisation – Selbstverdinglichung also. Kommunikative Selbstverwirklichung bringt immer eine teilweise Verdinglichung des anderen mit sich. Totale kommunikative Verdinglichung des anderen ist Mord.
Diesen unbändigen Drang nach Verdinglichung stillt der nichtschöpferische Mensch durch Gier nach Geld, Besitznahme des Lebens von Mensch und Tier sowie durch Töten von Tieren (zum Nahrungserwerb, aus Jagdlust oder zu scheinbar wissenschaftlichen Zwecken).
Selbstverwirklichung ist daher immer auch schuldhaft, denn sie kann nur auf Kosten des anderen geschehen. Wir beten daher mit Recht, Gott möge uns unsere Schuld vergeben. Es ist eine Gnade, wenn sich ein Ich über die Anderen technisch-materiell verwirklichen kann und nicht umgekehrt.
Der technische Wille zur Machbarkeit birgt die Macht des Teuflischen in sich. Denn im Grunde ist Machbarkeit das Streben nach Verdinglichung der Natürlichkeit des anderen. Jesus ringt mit dem Teufel in der Wüste.
Ein universaler Schöpfer mußte zum Schutze alles Geschaffenen Verbote und Gebote geben, denn die Kampfesspiele um das Selbstverwirklichungsmaterial unterliegen den strengen Gesetzen der Zahlen. Heraklit hat recht, wenn er im Krieg den Vater und König aller Dinge sieht. So gesehen, ist nicht nur die Neutronenbombe, sondern auch der Pazifismus verantwortungslos.
Sittlichkeit im technischen Handeln muß ein Wechselspiel zwischen intentionaler Ich-Ethik und intentionaler Du-Moral sein. Vergleichen sich die intentionalen Strukturen zweier Ich-Du-Bereiche, und es finden sich Gemeinsamkeiten, so gibt es zwei Möglichkeiten sittlicher Selbstverwirklichung: Entweder wird die Ich-Intention unter Berücksichtigung des Du realisiert (Ethik), oder das Ich verwirklicht sich nach dem technischen Programm des Du (Moral). Im Falle eines Wechselspiels zwischen Ethik und Moral entwickelt sich ein sittliches technisches Handeln.
Eine Metaphysik, die über Sittlichkeit nichts zu sagen hat, ist keine. Dies hat schon Schelling gesehen.
Kommunikation ohne gemeinsame Strebungen kann nicht stattfinden.
Technische Kommunikation muß nach einer mathematischen Logik erfolgen, die sowohl die intentionale Struktur wie auch die unterschiedlichen Wirklichkeitsbereiche (Ich, Du, Du…, Umwelt) berücksichtigt.

 

Roboter mit Bewußtsein oder die Fähigkeit des Menschen zur technischen Selbsterkenntnis
Es wird eines Tages Komputer bzw. Robotergehirne geben, die Bewußtsein produzieren können. Niemals aber werden sie – gleich dem Menschen – Ich-Bewußtsein haben. Der wesentliche Grund liegt darin, daß der Schöpfer immer eine logisch höhere Sprache als sein Produkt zur Verfiigung haben muß. Hier begegnen wir dem logischen Unterschied zwischen Objektsprache und Metasprache. Allgemeinverständlich kann man sagen, daß die Objektsprache die Sprache der Beschreibung und Metasprache die Sprache der Interpretation dieser Beschreibung ist.

Überlegt man sich, daß wir Menschen mit selbstbezogenen (selbstreferentiellen) Begriffen wie „Ich“ und „Selbst“ eine Sprache sprechen, zu der es – irdisch gesehen – keine höhere Metasprache mehr gibt, so würden wir im Falle selbstbewußter Maschinen oder Roboter die gleiche Sprache wie unsere technischen Konstruktionen sprechen. Oder wie Günther bemerkt: „Wenn beide die gleiche Sprache sprächen, dann wären Schöpfer und Geschöpf einander geistig ebenbürtig. Das ist absurd.“
So gesehen, ist Asimov’s Buch „Ich, der Robot“ mit einem unmöglichen Titel überschrieben. Gute Science-Fiction-Literatur – so wie sie beispielsweise in den fünfziger und sechziger Jahren in den USA von John W. Campbell herausgegeben wurde – muß logisch-mathematisch begründet sein. Die technisch Machbarkeit kann jedoch nur romanhaft gestaltet werden, da die Ingenieure noch keine passende Technik zur Verfiigung haben.
Unsere Roboter werden die Metasprache ihrer Konstrukteure genauso wenig ergründen können, wie auch wir die Unergründbarkeit der Metasprache unseres Schöpfers respektieren müssen. Daher sind uns Menschen Manipulationen mit allen Lebewesen, deren Metasprache nur ein höherer Schöpfer kennt, ein für allemal verboten. Hier sehen wir die eigentliche Grenze legitimen Forscherdranges. Legitim ist, wenn wir – wie die Buddhisten – nach einer immer höheren Metasprache streben.
Unser Gehirn arbeitet als bewußtseinsproduzierender Apparat prinzipiell nach der 2wertigen Logik: entweder ich bin es, der denkt und handelt oder ich bin es nicht. Eine dritte Möglichkeit ist unter dem Themenbereich des Bewußtseins ausgeschlossen.
Von unseren Patienten lernen wir aber, daß der Selbstbezug des Bewußtseins brechen kann und sich dadurch der vielörtliche, multipersonale Bau des Gehirns in verschiedenen sogenannten psychopathologischen Phänomenen zeigt. Wenn beispielsweise ein Patient in seinem Kopf die Stimmen verschiedener Personen hört, die sich miteinander unterhalten, so ist dies technisch vermutlich nur dadurch möglich, daß die Wirklichkeitsbereiche der Umwelt örtlich abgegrenzt im Gehirn repräsentiert sind. Mit anderen Worten: Die möglichen Kommunikationspartner in der Umwelt sind in unserem Hirn als eigenständige Orte (Module, Neuronen, Glia) – gleichsam hardwaremäßig vorhanden. Die axonalen, dendritischen und glialen Vernetzungsstrukturen legen die möglichen Kommunikationswege fest.
Kurzum: Unser Gehirn ist (als subjektives Universum) objektiv wie das Universum, in dem es lebt, gebaut. So gesehen, führt in der Hirnforschung nur ein platonischer Realismus weiter.
In einem vielörtlichen, polysubjektiven Universum wie dem Gehirn besteht die Möglichkeit, ortsgebundene Zählregeln zu erfinden, die an anderen Orten nicht gelten und Fehler produzieren. Diese Ortsgebundenheit gilt aber auch für den vielörtlichen Bau des physikalischen Universums. „Es gibt in der Welt physikalische Orte – schwarze Löcher -, wo die logischen und naturwissenschaftlichen Gesetze nur bis zum Rande des schwarzen Loches reichen, nach dem Übergang in dasselbe werden sie ungültig“ (Günther). Daher sind technische Konstruktionen immer von der „Logik des Ortes“, an dem sie gemacht werden, abhängig, vor allem von der formalen Individualität des Gehirns des entdeckenden Erfinders Ein jedes Bauwerk entsteht in seiner Heimat.
Wir benötigen für den Bau kommender Robotergehirne eine neue Logik, die die unterschiedlichen örtlichen Qualitäten und deren intentionale Vermittlungsstrukturen formal beschreibt. Überlegt man sich fernerhin, daß sich die an biologischen Gehirnen orientierende Komputerforschung derzeit fast ausschließlich mit der Konstruktion neuronaler Netzwerke befaßt und die glialen Strukturen, welche den überwiegenden Teil des Hirngewebes ausmachen, nicht berücksichtigt, so sind wir von echten Robotergehirnen noch weit entfernt.
Aber auch rein neuronale Komputer sollten nach ontologischen Prinzipien als Komputernetzwerke gebaut werden, deren Knoten ontologische Orte sind, und deren Leitungen bestimmte Umtauschverhältnisse (Negationen) zwischen jeweils zwei bestimmten Orten realisieren. Sie verkörpern durch diese Bauweise einen „deterministischen Entscheidungsmechanismus mit vielen Freiheitsgraden“ (Werner). Wird Arnold Gehlen’s Jahrhundertwerk „Theorie der Willensfreiheit“, den Gesetzen der Architektonik gehorchend, eines Tages der Machbarkeit der Entscheidungsmechanismen anheimfallen?
In so gebauten Netzwerken wird durch das Gehen eines Weges Information erzeugt. Information ist hier „Porotopie“ (griechisch: poreuein = sich auf den Weg machen; topos = Ort) – ein Gehen von Ort zu Ort.
Stellen Sie sich das Gehirn als einen Garten vor, in dem viele noch ungerodete Wege möglich sind. Unter bestimmten Voraussetzungen darf man gewisse Wege gehen, andere aber nicht. Manche Wege schleißen sich zu Kreisen, andere enden an einer bestimmten Stelle. Man kann auch auf verschiedenen Wegen zum gleichen Ziel kommen. Dabei scheint von entscheidender Bedeutung zu sein, welche Wege man nicht gehen darf. „Die Fähigkeit, nicht nur zu denken, sondern auch zu entscheiden, muß eine Hemmung sein: hier will ich nicht weiter“ (Günther).
Wenn es uns gelingt, dem Hirn diese „Orts-Wege-Logik“ abzuringen, dann können wir auch Komputernetzwerke nachbauen. Von ihnen werden wir mehr über die Kombinatorik biologischer Gehirne lernen. Das ist Architektonik auf wissenschaftlichen Wegen. Durch den Bau von Robotern mit einem Gehirn, das prinzipiell nach der Logik lebender Gehirne arbeitet, wiederholt sich in den nächsten Jahrtausenden die Problematik der göttlichen Schöpfungsgeschichte zwischen dem Menschen und seinen Robotern. Werden auch die Roboter die Verbote ihrer Schöpfer verletzen und technisch handeln wollen? Wird daher der Mensch – wie einst Gott – gezwungen sein, für seine Roboter eine begrenzte Lebenszeit zu bestimmen, sie gleichsam mit dem Tode zu „bestrafen“?
Wie auch immer. Wir sollten danach streben, echte Roboter – gleich dem Golem – zu bauen. Denn die metaphysische These, auf der Architektonik eigentlich beruht, ist folgende:
Der Mensch kann sich durch Introspektion nicht selbst erkennen. Was er nämlich in seinem Inneren findet, ist nicht er selbst, sondern eben das Bild jenes Universums, das er nicht ist. Selbsterkenntnis kommt uns Menschen nur dadurch, daß wir uns selbst in der Handlung wiederholen, indem wir unsere Existenzfunktionen technisch nachzubilden versuchen. Auf diese Weise erfahren wir von unseren technischen Produkten mehr darüber, wer wir wirklich sind.

 

Literatur
Asimov, I. (1952): Ich, der Robot. K. Rauch, Düsseldorf.
Couturat, L. (1901): La logique de Leibniz d’äpres des documents inedits. Paris.
Gehlen, A. (1933): Theorie der Willensfreiheit. Junker und Dünnhaupt, Berlin.
Günther, G. (1960): Schöpfung, Reflexion und Geschichte. Merkur 14: 628-650
Günther, G. (1967): Logik, Zeit, Emanation und Evolution. Westdeutscher Verlag, Köln und Opladen.
McCulloch, W.S. (1965)• Embodiments of mind.
M.I.T. Press, Cambridge, Massachusetts.
Mitterauer, B. (1989): Architektonik. Entwurf einer Metaphysik der Machbarkeit. Ch. Brandstätter, Wien.
Penrose, R. (1989): The emporor’s new mind. Oxford University Press, Oxford.
Schelling, K.F.A. (1978): Philosophie und Religion. Schellings Werke. Vierter Hauptband.
C.H. Beck’sche Verlagsbuchhandlung, München.
Spengler, O. (1923): Der Untergang des Abendlandes. C.H. Beck, München.