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Lecture 1

  |  Lecture 1

Humanistisch-humanes Weltbild in der psychiatrischen Begutachtung von Straftätern

Bernhard Mitterauer (Vortrag anlässlich der Emeritierung am 4.6.2009)

 

Ich möchte Ihnen noch mein humanistisch-humanes Weltbild bei der psychiatrischen Begutachtung von Straftätern ein wenig näher bringen.

Ein humanistisches Weltbild besagt, dass jeder Mensch einzigartig ist – also ein Individuum darstellt -, welches sich in irgend einem Wirklichkeitsbereich von jedem anderen Individuum unterscheidet und daher allgemeine Aussagen über einen Menschen unzulässig sind. Wir haben daher jedem Menschen respektvoll zu begegnen, womit dann ein menschliches Verhalten im Umgang mit den Mitmenschen einhergeht. Diese Einstellung muss aber auch gegenüber Straftätern gelten.

Daraus ergeben sich zwei wesentliche Konsequenzen:
1. Die Methode der Begutachtung muss die Individualität des Straftäters berücksichtigen.
2. Der Sachverständige muss sich stets bewusst sein, dass es für die Erklärung der Individualität eines Menschen keine wissenschaftliche Methode gibt und auch nie geben wird.

Wenn wir nun die Entstehungsbedingungen der mit der Straftat zusammenhängenden Störung im Einzelnen dem Gericht erklären, dann hat dieses Vorgehen einen zweifachen Effekt:
Richter, Staatsanwälte, Rechtsanwälte und Laienrichter können sich bei ihren Entscheidungen ein menschennahes Bild der Persönlichkeit des Täters machen, was man als humanistischen Ansatz bezeichnen kann. Vor allem aber fließen auch die Informationen aus dem Gutachten bezüglich einer belastenden Lebensgeschichte oder diversen Beeinträchtigungen durch verschiedene psychische Störungen in die Schuld- und Strafbemessung des Gerichtes ein, was sich bei der Strafbemessung mildernd auswirken kann. Hier handelt es sich um einen menschlichen Effekt, den ein humanistisches Weltbild bei der Begutachtung von Straftätern bewirken kann.

Zurzeit befinden wir uns in einer gefährlichen wissenschaftlichen Situation, weil man versucht, durch bildgebende Verfahren des Gehirns auf das Verhalten eines Menschen bzw. auf Störungen des Verhaltens zu schließen. Der Experimentator hat jedoch keine Ahnung, in welchem Zustand sich das Gesamtsystem des Gehirns im Sinne von Wünschen, Erwartungen, Bedürfnissen, Emotionen etc. befindet. Immer wenn man versucht, das Gehirn wie ein physikalisches Universum zu interpretieren, kann es bei den Experimenten nur um einen allgemeinen Fall, jedoch nicht um ein Individuum gehen. Daraus resultiert ein mechanistisches Menschenbild, in dem eine humane Ethik zunehmend an Bedeutung verliert.

Wenn sich ein Arzt entschließt, psychiatrische Gutachten zu erstellen, dann kann er die Frage der Zurechnungsfähigkeit nur beurteilen, wenn er die Verantwortung übernimmt, dass der Mensch prinzipiell über einen freien Willen verfügt.
Damit komme ich zu jenen Straftätern, die zur Tatzeit nicht zurechnungsfähig, als schuldunfähig, waren – Betroffene genannt. Mit dieser Entscheidung trägt der Sachverständige die große Verantwortung, einem Menschen seine Individualität und das damit einhergehende freie Handeln abzuerkennen, was eigentlich ein großer Eignriff in die Menschenwürde ist. Andererseits aber kann dieses Bekenntnis zur Willensfreiheit, Individualität und Menschenwürde bei psychisch schwer kranken Tätern den positiven Effekt haben, dass sie nicht nur keine Strafe bekommen, sondern, dass wir sehr menschlich mit ihnen umgehen, indem wir uns um Behandlung und psychosoziale Betreuung kümmern.

Sie könnten jetzt argumentieren, dass da einer vor Ihnen steht, für den es nur um die Täter geht und den die Opfer eigentlich nicht interessieren. Das Gegenteil ist jedoch der Fall. Da sich Gott sei Dank in den letzten Jahren die Gesellschaft intensiver für die Opfer einsetzt, scheint es mir legitim zu sein, auch die andere Seite der Medaille, nämlich die Persönlichkeiten der Täter in ihrer Individualität menschlich näher zu bringen. Wie die jahrelange Zusammenarbeit mit dem Landesgericht Salzburg mittlerweile zeigt, wird meine Perspektive – so wie ich sie hier angedeutet habe – von vielen der im Prozess Beteiligten (Staatanwälte, Richter, Rechtsanwalte, Laienrichter) bei den rechtlichen Entscheidungsprozessen berücksichtigt und miteinbezogen.

Was die so genannten Geisteskranken, also zurechnungsunfähigen Täter betrifft, so ist es mir gelungen, dass an der Christian-Doppler-Klinik Salzburg eine Station für Gerichtspsychiatrie errichtet wurde, welche aufgrund einer von uns angeregten einschlägigen Gesetzesänderung, zurechnungsunfähige, geistig abnorme
Rechtsbrecher in hohen Prozenten erfolgreich behandelt. Unter erfolgreich ist zu verstehen, dass diese Ärmsten der Armen – geisteskrank und straffällig – ausreichend psychosozial angepasst sind und ein menschwürdiges Leben führen können.

Ich betone noch einmal, weil die Gerichtspsychiatrie keine Wissenschaft – vergleichbar der Naturwissenschaft – ist und weil die hohe Individualität eines Menschen nie wirklich ganz erfasst werden kann, trägt der Gerichtspsychiater bei der Erstellung seiner Gutachten eine sehr große Verantwortung. Einerseits müssen die Gutachten methodisch möglichst gut begründet sein, andererseits ist der(die) Sachverständige mitverantwortlich für die gesellschaftlichen Konsequenzen der Expertise. Dabei bedarf es aber nicht nur eines Sachverstandes, sondern auch eines humanistisch-humanen Menschenverstandes, der von einer ärztlichen Ethik getragen ist, in der auch die Menschwürde eines Täters Platz hat.

An das Ende der Buchpräsentation gekommen, möchte ich mich vor allem für das Vorwort bei Herrn Prof. Triffterer bedanken. Es ist mit der Feder eines großen Gelehrten geschrieben und ebenfalls von einem humanistischen Weltbild getragen. Prof. Triffterer empfiehlt am Ende seines Textes meine Forschungstätigkeit nach der Emeritierung fortzusetzen, um die entwickelte Methodik weiter zu verfeinern, vor allem zur gerechten und menschlichen Beurteilung der von bestimmten Defiziten betroffenen Personen. Das werde ich tun!

Der Apostel Paulus schreibt an die Korinther:
„Möget ihr nun essen oder trinken oder etwas anderes tun, tut alles zur Ehre Gottes“. Da jedwede wissenschaftliche Anerkennung zeitlich begrenzt ist und man als Person rasch in Vergessenheit gerät – höchstens der bloße Name noch einen längeren Zeitraum überdauert – befolge ich den Rat des Apostels. Dann kann ich nämlich – ehrgeizlos und gelassen – einfach weiterarbeiten.